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Bis Deutschland die Nerven verliert

12. Juni 2012

Fundstück: spiegel.de Autor: Jan Fleischhauer

Externer Link: http://www.spiegel.de/politik/ausland/euro-krise-a ...

Schon der Euro zielte aus französischer Sicht darauf, die wirtschaftliche Vormachtstellung Deutschlands zu schwächen. Unter François Hollande nehmen die Franzosen mit neuem Elan ihr altes Projekt wieder auf.

Die französische Regierung hat gerade beschlossen, das Rentenalter ihrer Bürger auf 60 Jahre zu senken. Kein Franzose soll mehr länger arbeiten müssen, nur weil es die Finanzlage des Landes erzwingt - in keinem Fall aber so lange wie sein armer Verwandter in Deutschland, der sich auf Geheiß seiner Regierung bis zum 67. Lebensjahr mühen und plagen muss. Gesegnetes Frankreich, kann man nur sagen, wo die mitleidlosen Gesetze der Ökonomie unter der ewigen Sonne des Sozialismus ihren Schrecken verlieren. Auch die Grande Nation setzt zu wenig Kinder in die Welt, um den Wohlstand seiner Bewohner bis ins hohe Alter zu sichern. Aber was andernorts als gravierendes demografisches Problem gilt, das von allen mehr Einsatz und Fleiß verlangt, sind dort Misshelligkeiten, die sich per Federstrich beseitigen lassen, wenn der starke Arm des Präsidenten es will. Na gut, ganz so einfach ist es auch für den frisch gewählten republikanischen Sonnenkönig François Hollande und seinen Mitstreiter nicht, wenn sie ehrlich sind. So viel verstehen sie dann doch von Ökonomie, dass man die Probleme nicht erledigt, in dem man sie verschiebt. Aber zum Glück gibt es ja immer noch die Deutschen, auf deren Anstrengungsbereitschaft man sich auch im Elysée-Palast verlassen kann. So schließt sich der Kreis.

Jeder ist sich selbst der Nächste

In der Euro-Krise sind wir jetzt in der Phase angelangt, wo jeder versucht, auf Kosten der anderen seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Wenn Hollande sich dafür einsetzt, dass die Gemeinschaft den Spaniern ihre Banken saniert, ohne sich in deren Geschäfte einzumischen, hat er dabei weniger das Wohlergehen der spanischen Nation im Auge als vielmehr das der eigenen. Ist das Prinzip einmal durchbrochen, wonach es Hilfsgelder nur gegen Aufsicht von außen gibt, hat man eine schöne Versicherungspolice gegen die Wechselfälle des freien Wirtschaftslebens in der Hand. Die nächsten Banken, die sich dann direkt mit frischem Geld aus Brüssel versorgen können (und mutmaßlich auch werden), sind die in Paris.

Der kluge Franz Müntefering hat seine Partei gerade ermahnt, nicht zu laut das Lied Hollandes zu singen, nachdem SPD-Chef Sigmar Gabriel den französischen Präsidenten schon einen Freund nannte. Der alte Fuchs erkennt, wenn er jemanden vor sich hat, der nur auf eigene Rechnung arbeitet. Tatsächlich gehen die meisten Vorschläge des neuen Staatsoberhaupts zu Lasten anderer, allen Beschwörungen der europäischen Solidarität zum Trotz. Irgendjemand muss ja für die Sozialprogramme bürgen, die die französische Regierung ausheckt. Warum nicht die Nation, die nach übereinstimmender Meinung als besonders strebsam und verlässlich gilt?Die ausländischen Kreditgeber, die Hollande für seine Politik der gebenden Hand braucht, rechnen anders als die heimischen Wähler. Sie sorgen sich, ob sie ihr Geld jemals wiedersehen werden und verlangen entsprechende Risikoaufschläge. Ein Weg, zu günstigen Konditionen an frisches Kapital zu kommen, führt über die Spareinlagen der Deutschen. Deshalb auch die Hartnäckigkeit, mit der die französische Regierung für Euro-Bonds und neuerdings Bankenunion ficht.Der andere wäre, dass die Franzosen härter arbeiten, aber das will ihn ihr Präsident lieber nicht zumuten.

Angst vor der deutschen Hegemonie

Die Angst vor der deutschen Hegemonie über Europa war schon immer eine Obsession französischer Außenpolitik - und der Euro das Mittel zur Prävention derselben. François Mitterrand hatte seine Zustimmung zur deutschen Einheit bekanntlich von der Einwilligung Helmut Kohls zur Währungsunion abhängig gemacht.So gesehen erfüllt sich mit der Vergemeinschaftung der europäischen Schulden nun ein Projekt, das aus französischer Sicht schon immer eher gegen Deutschland gerichtet war als auf die Einigung des Kontinents. Nicolas Sarkozy glaubte dem alten Ziel am besten zu dienen, indem er den Schulterschluss mit der deutschen Kanzlerin suchte. Hollande kehrt zu dem bewährten Prinzip zurück, die Deutschen zu schwächen, indem er ihre wirtschaftliche Stärke unterminiert.Die nächste Stufe in der Krise wird die der offenen Erpressung sein. Die Spanier sind kurz davor, mit ihrer Weigerung, sich unter den Rettungsschirm zu begeben, das ganze System zu sprengen. Sie spekulieren offenkundig darauf, dass die Deutschen die Nerven verlieren und ihnen ihre Banken sanieren, ohne dafür irgendeine Garantie zu verlangen, dass sich die Dinge dauerhaft zum Besseren wenden.

Der Preis für den Austritt aus dem Euro

Die nächsten, die die Standfestigkeit der europäischen Geberländer testen werden, sind die Griechen. Ich stand neulich zufällig neben dem Außenminister eines uns sehr freundlich gesonnenen Landes. Wenn ich den Mann richtig verstanden habe, dann rechnet er fest damit, dass die Griechen nach den Neuwahlen darüber verhandeln werden, was den anderen ein Austritt Griechenlands aus dem Euro wert ist. Sie selber haben nicht mehr viel zu verlieren, die Nachbarn, allen voran die Deutschen, aber noch sehr viel. An dieser Diskrepanz wird sich der Preis bemessen.

Es war immer eine deutsche Erwartung, in einem geeinten Europa würden die nationalen Interessen in den Hintergrund treten und schließlich ganz an Bedeutung verlieren; man erkennt in dieser Hoffnung das Erbe der politischen Romantik. Nur außenpolitische Einfaltspinsel können annehmen, dass man in Madrid, Rom oder Paris auch wirklich Europa meint, wenn man dort von Europa redet.Wie man sieht, hält sich diese Form der Schwarmgeisterei hierzulande allerdings hartnäckig - sogar bis in die Spitze der SPD.