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"Blockbuster" und andere Zumutungen

3. Mai 2011

Fundstück: Verein Deutsche Sprache Autor: Gerhard H. Junker

Externer Link: http://www.vds-ev.de/textbeitraege/729-text-blockb ...

 

"Blockbuster" und andere Zumutungen

Ist Ihnen, verehrte Leser, der "Blockbuster", der heute gedankenlos als Synonym für "Kassenschlager" verwendet wird, schon einmal begegnet? Wenn ja, dann gehören Sie der Kriegsgeneration an und zu den Glücklichen, die diese Begegnung überlebt haben. Im Folgenden ist zu lesen, welch' absurde Blüten der Hang der Deutschen treibt, sich in einer fremden Sprache auszudrücken. Schon im 17. Jahrhundert hat Justus Georg Schottel (1612-1676) diesen Hang die "Fremdgierigkeit" der Deutschen genannt; was damals das Lateinische und Französische war, ist heute das Angloamerikanische (1)

 

blockbuster:
1. an aerial bomb containing high explosives and weighing from four to eight tons, used as a largescale demolition bomb (Webster's Unabridged Dictonary).
Er ist ein Paradebeispiel und eine Zumutung zugleich! Denn als Synonym für "Kassenschlager" gebraucht, stellt er eine Taktlosigkeit gegenüber den Opfern des Luftkrieges im 2. Weltkrieg dar. Durch die tonnenschwere Luftmine, genannt "blockbuster" (= Wohnblockknacker), sind im Zweiten Weltkrieg Tausende von Menschen umgekommen. Wenn ihn die Nachfahren englischer und amerikanischer Bomberpiloten verwenden, muss man das hinnehmen, von Deutschen jedoch nicht. Auch die, denen die Schrecken des Luftkrieges erspart geblieben sind, müssten sie kennen, aus den Büchern von Ralph Giordano und Jörg Friedrich (Der Brand) oder von Sendungen im Fernsehen. Schätzungen gehen von 600.000 Opfern aus. Maßgeblich beteiligt waren daran diese "Blockbuster", die ganze Straßenzüge in Schutt und Asche gelegt haben, bevor nachfolgende Phosphorbomben die verheerenden Feuerstürme entfachten.

air bag:
an inflatable plastic bag mounted under the dashboard or on the back of the front seat of a car: it cushions the driver and passengers by inflating automatically in the event of collision . (Webster's Unabridged Dictionary)
Auch der "air bag" (= Luftsack) ist ein Ärgernis, wenn auch in anderer Weise: Er ist sowohl in der englischen wie in der deutschen Version eine Fehlinformation der Öffentlichkeit. Denn nicht Luft schießt beim Aufprall des Fahrzeuges in den "bag" (= Sack) ein, sondern ein Explosionsgas, entstanden durch die Zündung eines Festbrennstoffes, und zwar ein giftiges - zumindest in der Frühphase seiner Anwendung. Der Leser möge für sich entscheiden, ob er "air bag" für einen frühen Boten der Anglomanie oder für bewusste Täuschung der Öffentlichkeit hält. Dabei mögen die Fakten und die Geschichte hilfreich sein:
Erste Versuche zur Entwicklung eines Sicherheitssystems für Kraftfahrzeuge wurden in den 60er Jahren in den USA durchgeführt, auch ein Patent auf das entwickelte Gerät wurde erteilt - aber es arbeitete mit Druckluft und erfüllte den Zweck nicht: die Luft strömte beim Aufprall nicht schnell genug in den Luftsack ein. Erst die danach von Daimler-Benz (DB) begonnene Entwicklung war erfolgreich, sie basiert auf Pyrotechnik; das beim Aufprall des Fahrzeuges durch die Zündung eines Festbrennstoffes entstehende Explosionsgas schießt in Millisekunden in das Kissen ein. 1971 wurde darauf DB das deutsche Patent 2152902 C2 erteilt: Der "funktionierende Airbag" ist also eine deutsche Erfindung! Die ersten Fahrzeuge mit diesem Sicherheitssystem wurden auf der IAA 1980 von DB vorgestellt, zunächst noch unter der Bezeichnung "Luftsack". Erstes mit einem "Airbag" ausgerüstetes Auto war der Mercedes-Benz W126 (S-Klasse). Der "Luftsack" war in "Airbag" umbenannt worden. Müßig zu fragen, ob man schon damals in Stuttgart meinte, eine Fehlinformation ließe sich dadurch kaschieren, dass man sie auf Englisch gibt. Der Anglizismen-INDEX benennt seit seiner ersten Ausgabe 2002 dieses nützliche Gerät funktionsgerecht "Prallkissen". Eine allgemeine Verbreitung dieser Fakten würde die Einführung der Benennung "Prallkissen" sicher fördern.

body bag:
a large bag made of heavy material and used to transport a dead body, as from a battlefield to a place of burial (Webster's Unabridged Dictionary).
Der "body bag" ist das bekannteste Beispiel für die Serie von Anglizismen, die Irritationen dadurch auslösen, dass ihre Bedeutung im Englischen verkannt oder nicht gekannt wird. Der "body" z.B. muss für allerlei herhalten, dabei wird verkannt, dass er im Englischen nicht nur Körper, sondern auch Leiche ist. So macht sich der Ladenbesitzer lächerlich, wenn er in seinem Schaufenster eine Umhängetasche als "body bag" auszeichnet, der im Englischen ein Leichensack ist. Einem amerikanischen Touristen muss das Grausen kommen, wenn er in einem deutschen Schaufenster "Bodybag" liest, werden doch darin die im Afghanistan umgekommenen GIs von Kabul zum Heldenfriedhof in Arlington geflogen. Mit "body-bag" liegt ein besonderes Beispiel für Wortimporte vor. Während in den USA das deutsche "rucksack" (gesprochen: "racksäck") übernommen wurde, ist es den Händlern in Deutschland offenbar zu verstaubt, so dass sie eine Neubenennung wünschten. Eigenartig! Warum bleiben wir nicht auch bei Rucksack, Tragetasche, Umhängetasche.

public viewing:
Im amerikanischen Englisch bezeichnet p.v. die öffentliche Aufbahrung eines Verstorbenen (Wikipedia).
Ähnlich muss es unserem amerikanischen Touristen mit dem "public viewing" ergangen sein, das die Ausrichter der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland statt "Freilichtfernsehen" unters Fußballvolk brachten, weil sie meinten, Weltoffenheit demonstrieren zu müssen. Hätten sie sich die Mühe gemacht, in einem englischsprachigen Lexikon nachzuschauen, sie hätten gemerkt, dass es den Begriff im britischenEnglisch gar nicht gibt und dieser im amerikanischen Englisch die öffentliche Aufbahrung prominenter Verstorbener bedeutet.

rail & fly:
to rail = schimpfen, lästern, fluchen (Langenscheidt)
In Zeiten des Achsen-Desasters bei den schnellen ICE -Zügen wäre diese aus zwei Verben bestehende Aufforderung der Deutschen Bahn sicherlich ein guter Spruch gewesen; denn er heißt wörtlich übersetzt "schimpf und fliege". Was die Bahn jedoch meint, ist "rail & flight", also "Schiene und Flug". Man sollte meinen, Unternehmen wie die Deutsche Bahn sollten ein paar Anglisten in ihren Reihen haben, die sie vor solchen peinlichen Fehlleistungen bewahren. Auch fällt ihr in ihrem "Denglischwahn" nicht mehr ein, dass es für ihr Angebot das treffliche "Zug zum Flug" gäbe.

slip:
a woman's undergarment, sleeveless and usually having shoulder straps, extending from above the bust down to the hemline of the outer dress (Webster's Unabridged Dictionary).
Da wäre der deutsche London-Tourist der Düpierte; er müsste sich als Transvestit vorkommen, wenn ihm bei einem Londonbesuch die Unterhosen ausgegangen wären und er im "Harrods" einen "Slip" kaufen wollte, wo ihm als slip ein Damenunterrock präsentiert wird.

Mac:
keltisch, »Sohn« (Bestandteil von schottischen [oder irischen] Namen [z.B. MacLeod]; Abk. M', Mc) (Duden)
Die Vorsilbe "Mac" oder abgekürzt "Mc" bedeutet also in (ursprünglich) keltischen Familiennamen "Sohn des", ebenso wie die Nachsilbe "son" in germanischen. Trotzdem wird derzeit in der deutschen Geschäftswelt alles Mögliche "ver-mact". Man fasst sich an den Kopf und fragt sich, was in die Protagonisten dieser Mac-Welle gefahren ist; ihre "Mac-Sucht" ist eine der verrücktesten Auswüchse der Anglomanie in diesem Land. Spitzenreiter der Verrücktheit ist der "McClean" fürs Bahnhofsklo - also der Sohn des "Sauber", sprich des "Sauber-Machers" (und der Klofrau). Selbst die Deutsche Post schämt sich nicht, diesen Blödsinn mitzumachen und ihre Papierwarenläden McPaper zu nennen - also "Sohn des Papiers": Wo soll die "Mac-Sucht" enden? Bei "McGermany"?

shooting star:
shooting star à Sternschnuppe (Langenscheidt)
1. a small, rapidly moving meteor burning up on entering the earth's atmosphere. 
2. a North American plant having white, pink, or purple hanging flowers with
backward- curving petals. (Genus Dodecatheon)
(gleichlautend in Webster's Unabridged Dic. und "Consise Oxford English Dic.)
Ähnlich wie bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland das "public viewing", brachten unsere anglophilen Sportreporter jetzt bei der Winterolympiade in Vancouver den "shooting star" unters Volk. Besonders bedacht mit dieser zweifelhaften Lobpreisung wurde die sympathische, 20 Jahre junge Olympiasiegerin Viktoria Rebensburger. Wenn sie bis zu ihrem kürzlich bestandenen Abitur gutes Englisch gelernt hat, dürfte es ihr wohl kaum gefallen, als "Sternschnuppe" gepriesen zu werden, denn das bedeutet "shooting star" - sowohl im britischen wie im amerikanischen Englisch, also ein beim Eintritt in die Atmosphäre verglühender Meteor.
Freilich sind diese Beispiele die ärgerlichsten aus der Sammlung der im VDS Anglizismen-INDEX verzeichneten rund 7.000 Anglizismen. Sie stiften Verwirrung bei denen, die Englisch lernen wollen oder auf Reisen englisch sprechen müssen, weil sie entweder falsches Englisch sind oder weil ihre Verwendung in diesem Land als instinktlos gelten muss.

Dennoch ist auch der Gebrauch von weiteren 80 Prozent der dort verzeichneten Anglizismen ein Ärgernis und eine Zumutung, weil sie existierende gute deutsche Wörter oder ganze Wortfelder verdrängen. Oder gibt es einen vernünftigen Grund, warum ein Laden ein shop, ein Ereignis ein event, ein Glanzlicht ein highlight oder eine Fahrkarte, eine Entrittkarte, ein Flugschein, ein Strafmandat jetzt ein Allerwelts-Ticket sein soll? - Ganz zu schweigen von unserer wunderbar anschaulichen Zeitlupe, die nun einem umständliches slow motion weichen soll.

Dieser Entwicklung will der Verein Deutsche Sprache e.V. mit dem Anglizismen-INDEX entgegenwirken, indem für diese Anglizismen deutsche Entsprechungen angeboten werden.

Er ist ein laufend aktualisiertes Nachschlagewerk für Anglizismen, die derzeit in der deutschen Umgangssprache (2) anzutreffen sind. Es gibt ihn als jährlich aktualisierte Buchausgabe wie auch als interaktive Version im Internet. Unter www.anglizismenindex.de kann jeder Nutzer über ein Eingabefenster Ergänzungen und Verbesserungsvorschläge eingeben. Der INDEX soll dazu beitragen, dass deutsche Begriffe anstelle von Anglizismen verwendet werden. Er kann auch jenen eine Verstehenshilfe sein, die keine oder keine hinreichende Kenntnis der englischen Sprache haben. Vor allem aber soll er zeigen, dass das Deutsche fähig ist, neue Begriffe zu entwickeln, ohne dabei auf andere Sprachen ausweichen zu müssen. Für jeden aufgeführten Anglizismus gibt der INDEX mindestens eine deutsche Entsprechung an.

Aber die Frage im Untertitel des INDEX "Gewinn oder Zumutung?" ist dennoch keine rhetorische. Rund 20 Prozent der 7.000 aufgelisteten Anglizismen können durchaus als Gewinn für die deutsche Sprache angesehen werden, denn sie werden als "ergänzend" oder "differenzierend" eingestuft. Der Nutzer mag diese Einstufung als Kriterium dafür betrachten, ob er ein englisches Wort, eine englische Wendung oder Phrase als Gewinn oder als Zumutung ansehen will.
Die von den Autoren so eingestuften Anglizismen erhalten diese Einstufung deshalb, weil sie eine Lücke füllen und ergänzend wirken, die anderen weil sie einen neuen Sachverhalt differenzierend darstellen, solange kein neuer Begriff aus dem Wortschatz der deutschen Sprache gebildet worden ist.
Das heißt auch, im Anglizismen-INDEX werden durchaus Fremdwörter akzeptiert. So finden wir Bungalow und Stress in ihrer deutschen Aussprache dort als Vorschlag für ihre englischen Pendants (3).
Manche Sprachwissenschaftler behaupten, der Anteil der englischen Wörter in der deutschen Sprache sei nicht größer als 1 Prozent (4). Das trifft nur dann zu, wenn man eine unrealistische Bezugsgröße wählt, nämlich hier den (geschriebenen) Gesamtwortschatz. Die Wirklichkeit spiegelt diese Zahl aber nicht wieder.

Wer sich in Fußgängerzonen der Städte umschaut, wer den Wirtschaftsteil der Zeitungen oder eine Sportzeitschrift liest, bekommt schnell einen anderen Eindruck. Eine Studie der Universität Hannover fand 2004 heraus, dass 30 Prozent der Werbesprüche englisch waren, gegenüber drei Prozent in den achtziger Jahren (5). Umfragen bestätigen, dass die Deutschen um ihre Muttersprache besorgt sind und dass sie sich einen stärkeren Einsatz dafür wünschen (6). Die meisten Sprachwissenschaftler und auch Politiker kümmert das wenig.

Der DUDEN enthält ungefähr 500.000 Einträge. An diesen gemessen sind Anglizismen eine Minderheit. Goethe verwendete in seinem Gesamtwerk ca. 90.000 Wörter.(7) Zur allgemein gebräuchlichen Standardsprache gehören rund 75.000 Wörter. Aber der Wortschatz, den der Durchschnittsdeutsche aktiv verwendet, beläuft sich auf 5.000 bis 10.000 Wörter. Es spielen also ganz andere Aspekte eine Rolle, um die Bezugsgröße zu ermitteln, wie die Textsorte, der Sprachstil, das Bildungsniveau von Sprechern und Schreibern u.a. Auf diese Weise käme man zu einem ganz anderen Ergebnis. Hinzu kommt, dass der Anteil in verschiedenen Themengebieten unterschiedlich ist. Auf dem Gemüsemarkt kommt man vermutlich noch gut ohne Anglizismen aus. Im Mobilfunkgeschäft sind Menschen ohne weitergehende Englischkenntnisse kaum in der Lage, die technischen Möglichkeiten ihres Telefons zu verstehen. Für Börsenberichte ist oft ein deutscher Untertitel notwendig. Es ist offensichtlich, dass das Deutsche in diesen Bereichen kaum weiterentwickelt wird. Ein Zustand, der für eine Kultursprache nicht hinnehmbar ist.

 

 

Anmerkungen:
Dieser Beitrag ist eine erweiterte Fassung meines Aufsatzes in: Anglizismen-INDEX (2008), IFB Verlag Deutsche Sprache, Paderborn (ISBN 978-3-931263-80-5, www.anglizismenindex.de). Für hilfreiche Anmerkungen danke ich Holger Klatte.
Umgangssprache wird hier nicht als linguistischer Begriff verstanden. Grundlage dieser Bewertung ist sowohl das geschriebene als auch das gesprochene Deutsch des Alltags, der Medien, der Werbung usw., aber auch sonder- und fachsprachliche Varietäten (z.B. Jugendsprache, Wirtschaftsdeutsch).
Diese Tatsache, die in der Gebrauchsanleitung des INDEX (S. 5-12) erklärt ist, übersieht übrigens Schneider (2008),S. 58 (Fußnote) in seiner Besprechung.
Vgl. Kettemann, Bernhard, Anglizismen allgemein und konkret: Zahlen und Fakten, in: Eurospeak. Der Einfluss des Englischen auf europäische Sprachen zur Jahrtausendwende, hg. v. Rudolf Muhr und Bernhard Kettemann, Frankfurt a.M. u.a. 2002, S. 55ff.; Schneider, Jan Georg, "Macht das Sinn?" und Überlegungen zur Anglizismenkritik im Gesamtzusammenhang der populären Sprachkritik, in: Muttersprache 1/2008, S. 68.
Vgl. Andoutsopoulos, Jannis K. / Bozkurt /Nevin, Breninck, Simone / Kreyer, Katrin / Tornow, Markus / Tschann Verena, Sprachwahl im Werbeslogan. Zeitliche Entwicklung und branchen-spezifische Verteilung englischer Slogans in der Datenbank von solgans.de, www.mediensprache.net/networx/networx-41.pdf (am 30.06.2008).
Vgl. Schulz, Rüdiger, Wie denken die Deutschen über ihre Muttersprache und über Fremdsprachen. Erkenntnisse aus einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage 2008.
Vgl. Goethe-Wörterbuch, hg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (www.goethe-wortschatz.de).

Münchener Burschenschaft Cimbria - "Blockbuster" und andere Zumutungen
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