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Polizist über Blockupy-Einsatz

23. März 2015

Man hält seinen Kopf für diesen Staat und seine Bürger hin Autor: Julia Schaaf

Externer Link: http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/blockupy/blo ...

Polizist über Blockupy-Einsatz
Man hält seinen Kopf für diesen Staat und seine Bürger hin

Eigentlich hätte ich am Dienstagabend gar nicht ins Bett zu gehen brauchen. Ich versuche in den Nächten vor großen Einsätzen zwar zu schlafen. Aber ob das gelingt, ist eine andere Frage. Nicht, dass ich aufgeregt wäre, jedenfalls nicht auf diese positive Art wie vor Weihnachten. Aber ich wusste beim Zubettgehen, dass mir ein langer und mit Sicherheit kein einfacher Tag bevorstehen würde.

Um zwei Uhr am frühen Mittwochmorgen klingelte mein Wecker. Aufstehen, Zähne putzen, anziehen. Ich nahm mir eine Kleinigkeit zu essen mit, auf der Dienststelle gab es den ersten Kaffee. Dann zog ich mich um. In meinem Spind hängen Stiefel, Schutzhelm und mein Einsatzanzug, der weit genug ist, um Protektoren zum Schutz der Gelenke darunter zu tragen, ohne sich wie eine Presswurst zu fühlen. Der Anzug hat zudem eine flammenhemmende Wirkung. Das ist gut, wie man am Mittwoch gesehen hat.

Immer wenn ich diese Sachen anziehe, wünsche ich mir, sie nicht zu brauchen. Jedes Mal wird mir bewusst, wie verletzlich man ist. Und dass man noch so viel trainieren kann: Das Einsatzgeschehen lässt sich nicht vorhersehen, auf vieles hat man keinen Einfluss. Da kann man nur hoffen, dass man am Ende gesund nach Hause gehen kann.

„Als Polizist kann man etwas für die Gesellschaft tun“

Ich bin Polizist geworden, weil ich mir nicht vorstellen konnte, vierzig Jahre lang im gleichen Büro zu sitzen. Und man kann etwas für die Gesellschaft tun. Wenn Bürger an ihre Grenzen geraten, sind sie froh, die Polizei rufen zu können. Oft sind es Kleinigkeiten, die Spaß machen.

Normalerweise arbeite ich auf dem Revier. Anzeigen entgegen nehmen, Streife fahren, Telefondienst. Aber bei Großlagen haben wir regelmäßig Alarmbereitschaft. Die Kollegen von der Bereitschaftspolizei mit ihren Beweis- und Festnahmeeinheiten werden ein Jahr lang ausgebildet. Wir haben Schulungen gemacht und gelernt, wie man eine Polizeikette bildet oder eine gewisse Funkdisziplin wahrt – also wie man die Regeln beim Absetzen von Funksprüchen einhält.

In Frankfurt gibt es viele Demonstrationen, manchmal hat man zu den Themen gar keinen direkten Bezug: Kurden. Misshandlung von Tieren. Aber selbst bei Pegida bin ich relativ schmerzfrei. Jeder hat sein Recht auf Meinungsfreiheit, und meine Aufgabe ist es, das zu schützen, auch wenn mir die Meinung nicht gefällt. Manchmal ist es frustrierend, wenn der Samstagnachmittag flöten geht. Aber dafür ist man Polizist geworden. Ich wusste immer, dass meine Rolle mich auch in Spannungsfelder befördern würde. Aber wie es tatsächlich ist, mit Steinen beschmissen zu werden, kann man sich vorher nicht vorstellen.

„Tiefschwarzer Himmel über dem Revier“

Die Innenstadt war am Mittwochmorgen noch ganz verschlafen, nur wenige Leute waren unterwegs. Aber man merkte: Irgendetwas ist anders. Die ersten Grüppchen von Demonstranten zogen herum. Hier und da waren Auskundschafter zu sehen, Blockupy-Anhänger auf Fahrrädern, die fotografierten und schauten, wo wie viele Kollegen standen.

Dann hörten wir über Funk, dass das Erste Polizeirevier auf der Zeil, also in der Innenstadt, angegriffen wurde. Drei, vier Fahrzeuge brannten. Und das genau in dem Moment, wo ein Teil unseres Zuges für eine kurze Pause auf dieses Revier gegangen war. Wegen der Hitzeentwicklung konnten die Kollegen nicht mehr nach draußen, unser Zug wurde faktisch getrennt. Kurz darauf kamen die ersten Bilder von den Kollegen per WhatsApp. „Es ging so schnell“, haben die gesagt. Wenn die Chaoten nur ein, zwei Minütchen eher am Revier gewesen wären, hätte vielleicht noch einer unserer Kollegen die Brennflüssigkeit abbekommen.

Es brannte also. Die Kollegen kamen nicht raus. Wir waren halbiert. Und das um kurz nach sieben Uhr in der Früh. Da wusste man schon: Das wird noch ein knackiger Tag.

Wir standen etwa hundert Meter Luftlinie vom Revier entfernt an der Konstablerwache bei den U-Bahn-Abgängen. Als ich mich umdrehte, sah ich Rauchschwaden. Eigentlich verbindet man die Innenstadt ja mit schönen Dingen – Einkaufen, Kaffeetrinken. Jetzt war der Himmel über dem Revier tiefschwarz. Man kann dieses Gefühl kaum beschreiben.

Wieso zündet jemand Autos mit Insassen an?

Wir sind ja alle Menschen. Der ein oder andere Demonstrant scheint das vergessen zu haben, aber auch bei der Polizei gibt es Leute, die einen Hund haben, mit dem sie ganz normal Gassi gehen, die eine Frau haben, Kinder. Meine Frau ist schwanger. Natürlich ist man in so einer Situation emotional. Ich versuche immer, das abzuschotten. Aber man spürt schon so eine Mischung aus Wut, Angst, Entsetzen und Fassungslosigkeit. Weil man sieht, wie brachial gegen Menschen vorgegangen wird.

Wie kann ein Mensch dazu fähig sein, Brennsätze auf ein Fahrzeug zu schmeißen, in dem mindestens zwei Kollegen sitzen? Das Fahrzeug brennt, die Kollegen befinden sich noch im Fahrzeug. Und es gibt trotzdem Leute, die brennendes Material auf das Fahrzeug schmeißen? Man ist ja austauschbar. Was, wenn ich in einer anderen Einheit gewesen wäre, wenn ich den Befehl bekommen hätte, die Straße abzusperren? Was, wenn ich in dem Auto gesessen hätte? Ich habe mir den ganzen Tag über nichts anderes gewünscht, als meine Frau und mein Baby noch mal zu sehen. Was habe ich diesen Leuten getan? Man kann unzufrieden sein mit dem System, man kann auch über die EZB denken, was man will. Aber dafür gibt es keine Rechtfertigung.

Am meisten entsetzt mich, dass wir zu Objekten degradiert werden. Wir sind in diesen Momenten nicht mehr wert als das Fahrzeug, das in Brand gesetzt wird. Das geht mir nicht in den Kopf. Ich bin schon in anderen Einsätzen mit Flaschen beschmissen worden, man stellt sich auf solche Situationen ein. Ich nehme das nicht persönlich. Aber dass man wirklich zu Sachobjekten degradiert wird... Ältere Kollegen, die die Startbahn-Demos noch miterlebt haben, sagen, das gab es immer mal wieder in Frankfurt. Ich bin seit sieben Jahren bei der Polizei, und ich kann nur sagen: So etwas habe ich noch nicht erlebt.

Ich muss Befehle entgegennehmen

Trotzdem muss man funktionieren. Die Pumpe geht, man ist wütend, schockiert, um die Kollegen besorgt. Aber man muss einsatzfähig bleiben. Ich muss psychisch und physisch in der Lage sein, den nächsten Befehl entgegenzunehmen. Wie ein Roboter. Wenn mein Zugführer sagt, wir verlegen in die B-Ebene, weil Demonstranten versuchen, Bürger daran zu hindern, dass sie zur Arbeit kommen, heißt es: Szenenwechsel, ab in die U-Bahn, souverän und professionell seine Arbeit tun. Wir hatten permanent diesen Knopf im Ohr, und es passierte so viel gleichzeitig, militante Gruppen in Richtung X, entglaste Gebäude hier, angegriffene Kollegen dort. Ständige Obachtstellung. Wenn man dann merkt, da ist eine Wand der Gewalt, gegen die kommen wir kaum an – das ist schon surreal.

Natürlich gibt es auch normale Leute, die im Blockupy-Bündnis demonstrieren, das sollen sie auch tun, dafür haben wir das Versammlungsgesetz und die Meinungsfreiheit. Was ich nicht verstehe, ist, dass man sich nicht distanziert. Ich habe vermisst, dass der Otto-Normal-Demonstrant sagt: Nein, das ist nicht Blockupy. Das sind nicht wir. Und damit wollen wir nichts zu tun haben. Wenn hinterher dann noch Politiker sagen, die Polizei habe provoziert, fühlt man sich verheizt. Der Kollege, der im Streifenwagen saß und Todesangst gehabt haben muss, hat niemanden provoziert. Man hält seinen Kopf für dieses System, diesen Staat, für die anderen Bürger hin. Aber die Wertschätzung fehlt.

Wir haben am Mittwoch auch Kessel gebildet und Leute festgenommen, die Steine geschmissen oder andere Straftaten begangen hatten. Wenn Sie denen in die Augen gucken, sehen Sie Hass. Woher kommt das? Wir reden hier ja von Leuten, die einen gar nicht kennen. Als wäre man Dreck und Abschaum. Eiskalte Blicke, die zu sagen scheinen: Ich mach dich fertig, dich und deine ganze Familie, deine ganze Sippe. Ich fange da an zu zittern.

Woher haben Schulkinder diesen Hass?

Am Mittwoch habe ich das mit Jugendlichen erlebt. Mit einem Mädchen, bei dem man sagen würde: Ey, Mädel, du bist 15 Jahre alt. Du solltest mit deinen Freundinnen zu Hause sein, dir eine „Bravo“ angucken und das Leben genießen. Stattdessen wirfst du Steine auf Polizeibeamte. Woher haben Schulkinder diesen Hass auf den Staat?

Systemgegnern geht es wahrscheinlich nicht mal um die Polizei per se. Aber wer ist denn der Repräsentant des Staates vor Ort? Frau Merkel ein Ei auf den Kopf zu hauen wird relativ schwer. Aber wem ich es definitiv zeigen kann, ist der Depp in Uniform, der vor mir steht.

Und dann heißt es seitens der Führung immer: Rückzug, Rückzug, Rückzug. Ich will meine Führung nicht kritisieren, ich bin nicht derjenige, der Entscheidungen treffen und verantworten muss. Aber als Beamter in vorderster Linie stelle ich mir manchmal die Frage: Was muss denn noch passieren? Wenn fünf, sechs Streifenwagen brennen, wenn über achtzig Kollegen verletzt sind und zehn Häuser entglast sind – wie lange wollen wir Deeskalation betreiben?

Ich habe keine Paradeantwort, kein Patentrezept. Aber man ist so machtlos. Man hat das Gefühl, jetzt gibt man noch klein bei. Und während man sich zurückzieht, steht vor einem eine Reihe von Demonstranten mit Steinen, die jubeln. Die feiern wie beim Fußball, wie wenn Deutschland Weltmeister wird, und schmeißen noch eine Flasche nach. Weil sie sehen, dass es da Polizisten gibt, die sich vor Angst in die Hose machen und die jetzt zum Rückzug gezwungen sind. Das macht mich wütend.

Abends um sieben war ich am Mittwoch zu Hause, nach 15 Stunden Dienst. Erst dann habe ich gemerkt, wie kaputt ich war, weil die Anspannung so zehrt. Von außen sieht es so aus, als würden wir den ganzen Tag herumstehen. Aber von der körperlichen Erschöpfung her hätte ich sofort pennen können bis zum nächsten Morgen. Doch dafür war ich zu aufgewühlt. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie froh ich sein konnte, dass ich neben meiner Frau auf der Couch saß und nicht wie der Kollege auf der Intensivstation lag. Meine ganze Familie rief an, um zu hören, wie es mir geht. So oft klingelt mein Handy selten. Ich habe mich fast gefühlt wie am Geburtstag.

Ich bin mit Leib und Seele Polizeibeamter. Vielleicht geht mir das eine oder andere auch deshalb näher, weil ich mich stark mit meinem Beruf und meiner Aufgabe identifiziere. Ich werde auch in die nächste Demonstration gehen, wenn mein Dienststellenleiter mir sagt: Sie gehen. Aber ich kann mir vorstellen, dass ich eine Minute länger vor meinem Spind stehen werde und hoffen werde, dass ich einfach am Abend den Helm hier wieder ablegen darf.